Die Flötenszene in der Türkei von Beginn an bis Heute

Lelya Bayramoğulları

Als eine wichtige Brücke zwischen den Kontinenten Europa und Asien beheimatet die Türkei bis in die heutige Zeit eine große Vielfalt an Kulturen in ihrem historischen Erbe. Mag der Anfang der Querflötenmusik auf das musikalische Leben an privaten höfischen Orchestern um die Mitte des XIX. Jahrhunderts begrenzt gewesen sein; der eigentliche Anfang und die Entwicklung wird durch die “Kultur-Reform” der neuen Republik -gegründet und geleitet von “ATATÜRK”- begonnen.

Das Bestreben der Musik-Reform war die Erfindung einer neuen musikalischen Sprache, mit der sich die Türkische Nation identifizieren konnte. Das Ziel war sehr hoch gesteckt! Mit dem Ausbruch des 2. Weltkriegs passten auch die politischen Gegebenheiten zu diesem Ziel. Atatürk hat viele Musiker / Lehrer / Künstler / Wissenschaftler eingeladen und untergebracht; Die Türkei war eine Zeit lang für Europa eine Rettungsinsel für Exilanten, die viel näher lag als vergleichsweise Amerika.

Die neue Republik hat niemals das kulturelle Erbe des osmanischen Reiches in Frage gestellt, nur war man auf der Suche nach einer neuen Identität; dabei sollte Musik helfen!

Giuseppe DONIZETTI

Als ein solches sehr kostbares Erbe wird der italienische Flötist / Kapellmeister Giuseppe DONIZETTI angesehen. “Giuseppe Pascha” lebte und wirkte bis Ende seines Lebens in Istanbul und als Zeichen der Verehrung seiner Dienste wurde er mit dem Titel  “Pascha” (General) belohnt. Der italienische Flötist gilt als die bedeutendste Begegnung mit der klassischen Musik in osmanischer Zeit.

Der wichtigste Schritt wurde im Jahr 1936 getan; der deutsche Komponist Paul HINDEMITH wurde von Atatürk eingeladen zur Gründung des türkischen Musikausbildungssystems. Innerhalb von 3 Jahren (1935-1937) hat Hindemith mehrere Berichte geschrieben, die immer noch als Basis des heutigen Systems dienen. Beim neu gegründeten Ankara Konservatorium und der Gazi Universität wirkten auch viele andere deutsche Lehrer mit, u.a. Eduard ZUCKMAYER. Das Musikausbildungssystem hat sich bis heute zu 39 Konservatorien ausgebreitet; eine vollständige musikalische Ausbildung können aber nur wenige anbieten. Dabei zählen die Institute in Ankara, İstanbul und İzmir zu den profiliertesten.

Die übliche Laufbahn ist: Unterstufe halbzeitlich, ab Mittelstufe vollzeitliche Ausbildung. Das Master- und Doktoranden-Programm wird ebenfalls angeboten. Die Prüfung in der Unterstufe erfolgt ohne Instrument, nur nach Gehör, aber für die anderen Stufen soll nach dem Reglement ein bestimmtes instrumentales Niveau erreicht sein. Die Instrumente werden z.T. vom Konservatorium verliehen, aber viele Schüler versuchen nach Möglichkeit ein eigenes Instrument zu kaufen. Eine kostenlose Reparaturwerkstatt ist ebenfalls vorhanden.

Für das Gehörbildung ist das französische System “Solfège” vorgesehen und wird konsequent eingehalten. Beim Flötenspiel am Anfang etablierte sich die Deutsche Schule. Als erster Lehrer im Konservatorium von Izmir hat mit Sicherheit der Berliner Bernhardt HÜBNER dazu einen großen Beitrag geleistet; er ist der erste Lehrer der bedeutenden türkischen Flötistin Gülşen TATU gewesen.

Gülşen TATU

Mit der Zeit, unterstützt durch das universale Austauschprogramm von Schülern und Lehrern, haben die Französische und Amerikanische Schule einen gleichwertigen Stand bekommen.

Zwei der bedeutensten türkischen Querflötenlehrer waren: Prof. Mükerrem BERK (1917-1996, İstanbul)

Prof. Mükerrem BERK

und Prof. Câhit KOPARAL (1928-2001, İzmir).

Prof. Câhit KOPARAL

Berk hat neben seiner Lehrtätigkeit einen wichtigen Dienst geleistet als Direktor des Konservatoriums und Gründer des Symphonie-Orchesters in İzmir. Koparal -zu dessen Schülerinnen auch ich zähle- hat neben seiner langjährigen Lehrtätigkeit in Izmir noch die Notenschreiblehre gelehrt. Auch die erste türkische Flöten -Methode stammt aus seiner Hand. Eine weitere  „Flöten-Methode” schrieb auch Prof. Gülşen TATU (Trossingen). Eine andere wichtige Flötistin, die ihre Karriere in Nizza (Frankreich) aufgebaut hat, ist Prof. Sibel PENSEL.

Prof. Sibel PENSEL

Ihre Album heißt: “L’ Opera en Duo 12 airs arranges pour flutes par Andre Télman”. Prof. Ece KARŞAL (İstanbul) hat eine „Methode für Anfänger” geschrieben. Die wichtigsten akademischen Posten in der Türkei werden geführt von Prof. Ayla ULUDERE:

Prof. Ayla ULUDERE

Doz. Jülide GÜNDÜZ, Doz. Nihan ATALAY (İstanbul), Doz. Çiler AKINCI,

Doz. Çiler AKINCI

Hürkan AYVAZOĞLU (İzmir) und Gülsen ŞATANA (Ankara).

Die Querflöte ist mit Sicherheit ein sehr beliebtes Instrument in der Türkei. Unsere Komponisten haben in ihren Werken als Vorbild die warmen und mystischen Klänge der traditionellen türkischen Instrumente “Kaval” und “Ney” gesucht. Die reiche traditionelle Musik wurde immer als schöpferische Basis angesehen, auch die enge Zusammenarbeit von Béla BARTÓK und Adnan SAYGUN hat den Folklorismus als führenden Kompositionsstil stark geprägt. Trotz großer Schwierigkeiten hat Atatürk viele Studenten nach Europa zur Musikausbildung geschickt. Auf diese Weise ist unsere “Türkische Fünf’er Gruppe” enstanden, die auch den modernen Zeitgeist mit sich gebracht hat. Als beliebtes türkisches Werk können wir die Piece für Flöte und Klavier “An Yunus Grab” von Ekrem Zeki ÜN nennen. Die Sonate für Flöte und Klavier von Necil Kâzım AKSES ist auch von großer Bedeutung. Der junge Komponist Hasan Niyazi TURA hat mehrere Kompositionen für Flöte geschrieben. Davon durfte ich die Uraufführung der Sonate für Flöte und Klavier machen.

Ein anderes wichtiges Erbe aus Osmanischer Zeit ist das Präsidenten- Symphonie Orchester von Ankara. Mit seiner Gründung von 1826 zählt es heute zu den ältesten Orchestern der Welt. Zum dessen Umbildung zum Philarmonisches Orchester durch Hindemith im Jahr 1932 wurde der Deutsche Dirigent Dr. Ernst PREATORIUS eingeladen.

Danach folgten Namen wie Gotthold Ephraim LESSING, Arthur FIDLER, Robert WAGNER u.a. Innerhalb kurzer Zeit wurde in Ankara auch das Opernhaus gegründet, und die beiden Institutionen erweiterten sich mit der Zeit zur 6 Symphonie- und 5 Opern- Orchestern. Diese Trennung der Gattungen gibt es immer noch. Das jüngste Symphonie-Orchester – wo auch ich ein Gründungsmitglied bin- ist seit 20 Jahren in Antalya. Die jüngste Opernorchester besteht seit 10 Jahren in Samsun.

Unsere Orchester dürfen bis zu 120 Musiker, davon 5 Flötist/innen, einstellen.  Tatsache ist aber, dass wegen langjähriger Sparpolitik nur wenige davon besetzt sind. Bei einer Untersuchung – die ich vor Kurzem für eine Flötentagung gemacht habe – stellte sich heraus, dass eigentlich bei den staatlichen Orchestern noch 26 Flötenstellen frei sind!

Jede/r Flötist/in (der/die Glück hat, das Probespiel zu gewinnen!) fängt zuerst als Tutti – Musiker an und kann im Laufe der Zeit eine Karriere als Stellvertreter, schließlich als Solo – Flötist/in aufbauen. Instrumente werden allgemein vom Staat gekauft, nur deren Instandhaltung trägt der Musiker selbst. Die Opernorchester haben Reparatur-Werkstätten, die aber nicht immer die beste Überholung der İnstrumente anbieten. Weil alle Staatlichen Orchester an das Kultusministerium gebunden sind, ist ein Wechsel zwischen Orchestern möglich, ohne ein neues Probespiel machen zu müssen.

Ein Symphonie- Orchester hat die Aufgabe, jährlich ca. 32-35 Konzert- Programme mit verschiedenen Solisten und Dirigenten zu verwirklichen. Die Proben fangen am Montag an, und an dem darauffolgenden Freitag ist das Konzert. Bei Opern-Orchestern ist die Organisation ganz anders: Sie haben in der Woche 3 Vorstellungen und dazu die entsprechenden Proben. Beiden gemeinsam ist eine 3-monatige Sommerpause, die für Festivals u.a. unterbrochen werden darf. Die Pause ist wegen der klimatischen Gegebenheiten in einem Stück vorgesehen.

Die Solo – Flötenstellen bei den staatlichen Symphonie-Orchestern werden von folgenden Künstlern belegt: Ankara: Aycan SANCAR, Songül ÖZDEMİR, İstanbul: Günay YETİZ, Bülent EVCİL, İzmir: Selma ÖZÖRTEN, Sonat SÖZER, Adana: Yasemin GÜREL, Murat ESEN, Bursa: Özlem PASTIRMACIOĞLU, Nazlı ESİN, Antalya: Lelya BAYRAMOĞULLARI.

Solisten wie J. P. RAMPAL und A. NICOLET sind schon beim Präsidenten- Orchester in Ankara gewesen. Auch die neue Generation wie E. PAHUDE und P. GALLOIS sind nach Ankara gekommen. Ich habe bis heute in meinem Orchester Solisten wie A. ADORJÁN, A. LİEBERKNECHT gehört, und vor kurzem durfte ich mit großer Begeisterung Khachaturian’s Konzert erleben, gespielt von M. M. KOFLER. Wir sind froh, solche Künstler und hervorragende Menschen als Solisten einladen zu dürfen und hoffen, dass sie schöne Erinnerungen mit sich zurück gebracht haben.

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An aktuellen Flötenereignissen in den letzten Jahren in der Türkei sollte man zuerst unser allererstes Flötenfestival “FLÜTİSTAN” nennen. Die im Jahr 2015 tätige Organisation hat Künstler wie Felix RENGGLI, Karl-Heinz SCHÜTZ, Sophie CHERRIER, Jocelyn AUBRUN, Nicola MAZZANTİ, Mauricio LOZANO, Sibel Kumru PENSEL und Bülent EVCİL nach İstanbul gebracht. İm darauffolgenden Jahr wiederum  hat in İstanbul der erste Durchgang des “Wood Wind Festival” stattgefunden. İm Fach  Flöte haben Künstler wie Walter AUER, Jean FERRANDIS, Bülent EVCİL, Halit TURGAY, Başak ERSÖZ und  das „İstanbul Flöten Ensemble” teilgenommen.

Ein sehr wichtiges Flöten-Ereignis für uns, die türkischen Flötist/innen sind die seit 2002 organisierten “Flötenfesttage” von Prof. Sibel PENSEL in Nizza (Frankreich). Neben den bekannten Weltnamen werden die hier vertretenen türkischen Flötist/innen eingeladen, sodass quasi die „Türkische Flöten- Szene” eine Möglichkeit bekommt, sich in Europa zu repräsentieren.

Die Flöten-Szene in der Türkei wurde in den letzten Jahren mit zahlreichen Konzerten, Recitals und Kammermusikabenden von Künstlern wie J. GALWAY, E. PAHUDE, D. FORMISANO, J. BEAUDIMENT, P. BERNOLD, A. BLAUE, R. TREVISANI u. a. belebt. Zum Glück geben diese Künstler auch Meisterkurse; so bekommen die türkischen Schüler die Möglichkeit, verschiedene Spielrichtungen nachzuvollziehen. Von einheimischer Seite aus zeigt Bülent EVCİL eine rege Aktivität als Solist, gibt Recitals & Meisterkurse, macht CD-Aufnahmen; Nihan ATALAY tritt mit der Barock- Flöte (Traverso) in den Vordergrund; Cem ÖNERTÜRK zeigt die moderne Seite der Flöte mit großem Erfolg; unser neugegründetes “İstanbul Flöten Ensemble” (İFT) hat zahlreiche Konzerte absolviert und ist zum prominenten „Low Flutes Festival” nach Washington (USA) eingeladen worden. Dort wird das İFT ein Programm mit türkischen Kompositionen aufführen, wovon die meisten neu für dieses Ensemble geschrieben sind.

Ein nationaler und internationaler Wettbewerb wird in Afyon (Dinar) unter Juryleitung von Gülşen TATU seit 9 Jahren durchgeführt. Das Interessante dabei ist, dass in der Mythologie genau dort die Stelle ist, wo vor 2500 Jahren Apollon mit Lir und Marsyas mit der Flöte den allerersten Musikwettbewerb gemacht haben sollen.

Über eine türkische Flöten-Marke können wir noch nicht sprechen, aber das neue Holzkopfstück von A. AKINERİ ist längst in Europa verbreitet. Die Zusammenarbeit und enge Freundschaft mit dem deutschen Meister Harry GOSSE ist für Akıneri von großer Bedeutung.

Als Schlusswort möchte ich von ganzem Herzen alle Flötisten/innen zur „Türkischen Flöten-Szene” einladen. Hier, wo die mythologischen Klänge noch zu hören sind, und das Publikum, wie P. Hindemith sagte,  “immer bereit ist, Musik zu hören”…

Wenn auch Sie bereit sind, türkische Flötisten/innen zu hören, sind folgende CD- Aufnahmen zu empfehlen:

Gülşen TATU: Arife Gülsen Tatu And Salzburger Mozart-Solisten

Sibel PENSEL: “Voyage” Sibel Kumru Pensel & Anna Roumiantseva

Günay YETİZ: “J. S. Bach” Günay Yetiz & Bahar Göksu

Songül SEİDEL: “Colours of the Flute

Bülent EVCİL: “The Virtuoso Flute” Bülent Evcil & Phillip Moll

Halit TURGAY: “Turkish Tea Jazz Suite

Soloflötistin der Antalya Staatsymphonie Orchester

Doz. Lelya BAYRAMOĞULLARI

 LİTERATUR:

  • İLYASOĞLU Elvin, Zaman İçinde Müzik, YKY, İstanbul, 2003.
  • YAVUZ Elif Damla, Hindemith Raporları, SCA, Ankara, 2013.
  • OKYAY Erdoğan, Cumhurbaşkanlığı Senfoni Orkrestrası’na Armağan, SCA, 

Ankara, 2009.

  • ANTEP Ersin, Cumhurbaşkanlığı Senfoni Orkrestrası: Çoksesliliğin Belgesel 

Tarihi, Elma Yayınevi,  Ankara, 2017.

  • ARACI Emre, Donizetti Paşa Osmanlı Sarayının İtalyan Maestrosu, YKY, 

2014.


Lelya Bayramoğulları

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Lelya Bayramoğulları, a renowned flutist, commenced her musical journey in 1986 under the guidance of Prof. Cahit KOPARAL at D.E.U Izmir State Conservatory. After graduating with honors in 1994, she furthered her studies with notable figures like Associate Professor Yo WASHIO and Professor Andre SEBALD at the “Folkwang Music Academy,” earning her master’s degree in 1999 and later completing her PhD in 2014.

Throughout her career, Lelya has made significant contributions as a flutist, teacher, and orchestral soloist. Notable achievements include winning the “Köhler Ostbahr” Chamber Music competition in 1996 and performing as a soloist with the Antalya State Symphony Orchestra since 1998. In 2000, she initiated the flute class at Akdeniz University State Conservatory and later joined the Antalya State Symphony Orchestra as Chief Assistant of the Flute Division from 2008 to 2010.

Lelya’s expertise extends beyond performance; she has served as a jury member in prestigious international flute competitions and contributed articles to “Flöte Aktuel” in Germany. Notably, she became a Sankyo Flute artist and participated in various international festivals, including the “Big Flute Festival” in Washington, USA, and the Sofya-Bulgaria Europe Chamber Festival.

As the principal flute player at the Antalya State Symphony Orchestra, Lelya continues to enrich the musical landscape, earning accolades such as the 2021 Artist of the Year award from the Antalya Businessman Association. Her global presence includes performances, recitals, and masterclasses in countries like Japan, Nigeria, the USA, and Bulgaria.

In recognition of her outstanding contributions, Lelya Bayramoğulları was honored with the title of Asos.Prof. at Akdeniz University, where she leads a social project, the Flute Orchestra. She remains an influential figure in the music world, showcasing her artistry through numerous concerts, recitals, and engagements, solidifying her status as the first Flute State Artist in Antalya, a position that earned her a place in the Antalya Women’s Museum.