Das Pars-pro-Toto-Spiel  |  Neue Klänge auf Teilen der Flöte

von Andreas Mazur

Im Jahr 2003 erschien mein Lehrbuch mit CD „Das Pars-pro-Toto-Spiel: Neue Klänge auf Teilen der Flöte“ beim Musikverlag Zimmermann und ich konnte es auf der Frankfurter Musikmesse im selben Jahr einer internationalen Öffentlichkeit präsentieren. Hinter mir lagen 10 Jahre an Forschungsarbeit und Niederschrift des umfangreichen Manuskriptes.

Was ist das Pars-pro-Toto-Spiel?

Gehen wir zurück in das Jahr 1993, den Anfängen meiner begeisterten Forschungsarbeit. In diesem Jahr entdeckte ich das Werk für Flöte solo „Kalais“ des Komponisten Thorkell Sigurbjörnsson. In der Schlusspassage schreibt der Komponist die Spielanweisung, dass man das Kopfstück abnehmen sollte, um auf dem verbleibenden Korpus der Flöte in shakuhachi-Art zu spielen. Man würde Töne ungefähr einer Quinte entsprechend zwischen Griff und den resultierenden Tonhöhen spielen.

Ich brachte mir autodidaktisch das Spiel auf der Flöte ohne Kopfstück bei, um „Kalais“ in Konzerten zu realisieren. Mir fiel aber auf, das weitaus mehr Tonhöhen spielbar sind als Sigurbjörnsson erwähnt, denn die Klappenmechanik ermöglicht eine faszinierende Vielzahl an tonalen Abstufungen. Die Begeisterung hatte mich gepackt, der Sache forschend auf den Grund zu gehen. Zugleich entdeckte ich, dass auch auf dem Fußstück solo in shakuhachi-Art unter Verwendung der Klappenmechanik eine große Anzahl an Tonhöhen spielbar sind. Damit war das Pars-pro-Toto-Spiel geboren. Ich erforschte also vier weitere Instrumente, die unserer Querflöte quasi angeboren sind: das Kopfstück solo, die Kopfstück-Fußstück-Kombination, das Fußstück solo und die Mittelstück-Fußstück-Kombination.

Warum das Ganze?

Es sind die faszinierenden, exotisch anmutenden Klangfarben, die auf diese Weise und nur auf diese Weise entstehen. Mal klingt es nach einer japanischen shakuhachi oder nach einer riyuteki aus der Gagaku Musik, mal nach einer indischen Bansuri oder nach einer Quena aus der Volksmusik der peruanischen Anden. 

Die Pars-pro-Toto-Spieltechniken schlagen durch ihre faszinierenden Klangfarben eine Brücke zwischen den ethnischen Flötenformen (auch Vorformen unserer modernen Flöte) und der modernen Querflöte selbst. 

Warum habe ich diese Techniken Pars-pro-Toto-Spiel genannt?

Diese Bauteile und Kombinationen derselben sind ganz eigenständige Instrumente mit ihren bestimmten, typischen Klangfarben und Tonsystemen. Also jedes Teil kann für ein ganzes, eigenes Instrument stehen. In der lateinischen Rhetorik nennt man dies, wenn ein Teil für ein Ganzes steht, ein pars pro toto, zum Beispiel wenn man die Einwohner eines Dorfes meint, dann aber von 100 Seelen spricht.  

Lehrbuch mit CD

In meinem Buch habe ich alle Ergebnisse meiner jahrelangen Forschungsarbeit systematisiert zusammengestellt. Für alle vier Pars-pro-Toto Instrumente gibt es jeweils ein Tonsystem mit allen spielbaren Tonhöhen. Die Tonsysteme sind durch eine Referenzaufnahme auf der begleitenden CD komplett eingespielt, immer mit einem Referenzton auf dem Klavier, so dass auch mit der CD geübt werden kann.

Ein weiteres Kapitel meines Buches umfasst einfache melodische Übungen für alle Bauteile, um erste Erfahrungen mit dem Pars-pro-Toto-Spiel zu sammeln. Es folgen internationale Volkslieder, die mit ihren gesanglichen Intervallen ein gutes Übungsmaterial darstellen. Außerdem passen die Farben des Pars-pro-Toto-Spiels hervorragend zu Aussage und Stimmung der einzelnen Lieder.

Es folgt ein Kapitel mit Duetten mit der Hauptmelodie dargestellt durch Pars-pro-Toto-Spieltechniken begleitet durch eine vollständige Flöte. Hierzu gibt es auch play along tracks, um mit der CD üben zu können.

In meinem Buch sind zwei Verwendungsmöglichkeiten des Pars-pro-Toto-Spiels relevant. Zum einen sind es Improvisationen. Diese lassen sich auf der Grundlage der Tonsysteme sehr spannend und farbig gestalten. Zum anderen nimmt das Spiel nach Notation einen großen Raum ein. Denn damit gibt es eine gemeinsame Sprache für Komponisten und Interpreten. 

Ich habe eine Notation mit einfachen grafischen Symbolen entwickelt, so zum Beispiel mit Quadraten, Kreise, Pfeilen um die einzelnen Hand- und Fingerpositionen zu beschreiben. Mehr dazu finden Sie auf meiner Website www.andreasmazur.de (deutsche und englische Version). Dort gibt es auch einen kostenlosen download-Bereich für Exzerpte aus meinem Buch.

Detaillierte Videos

Außerdem habe ich auf meinem YouTube-Kanal drei ausführliche Videos in Deutsch, Englisch und Französisch zum Pars-pro-Toto-Spiel veröffentlicht. Dort kann man sehen und hören, wie das Pars-pro-Toto-Spiel klingt.

Deutsch:

Englisch:

Französisch:

Auf der Startseite meiner Website finden Sie auch zwei Aufnahmen der englischen Volkslieder „Autumn comes“ und „Greensleeves“ arrangiert für die Mittelstück-Fußstück-Kombination und Klavier – schöne Klangbeispiele für die faszinierenden Farben des Pars-pro-Toto-Spiels.

Zwei Anblastechniken

Beim Pars-pro-Toto-Spiel unterscheide ich zwei Anblastechniken: Zum einen in herkömmlicher Weise über die Mundplatte und das Anblasloch unseres Kopfstücks. Dies gilt für das Kopfstück solo und die Kopfstück-Fußstück-Kombination.

Zum anderen in shakuhachi-Art. Dies gilt für das Fußstück solo und für die Mittelstück-Fußstück-Kombination.

Was bedeutet shakuhachi-Art?

Hier wird der Ton nicht wie auf einer Flasche produziert, sondern durch Abdeckung der Rohröffnung. Die Unterlippe wird locker und weit nach vorne gestülpt, die Rohröffnung wird sehr stark abgedeckt (2 / 3 bis 3 / 4); es muss ständig ein guter Kontakt zur Unterlippe herrschen, gut verschlossen, aber nicht gepresst. Man bläst ein breites Luftband gegen die gegenüberliegende freie Wand bzw. Kante der Rohröffnung. Weitere Anleitungen finden Sie auf meiner Website im kostenlosen Downloadbereich unter Veröffentlichungen / Das Pars-Pro-Toto-Spiel.

Wo kann man dieses Buch finden?

Mein Buch habe ich für den Zimmermann Verlag, Frankfurt geschrieben und es ist heute über Zimmermann / Schott Music erhältlich

Das Buch ist leider nur in Deutsch erhältlich, aber meine erste Pars-pro-Toto Komposition Sénanquefür Flöte solo ist ebenfalls bei Zimmermann / Schott Music erschienen und es enthält ein Vorwort in Deutsch und Englisch mit ausführlichen Erläuterungen zu den Pars-pro-Toto Spieltechniken.

Außerdem habe ich das Werk für meinen YouTube-Kanal eingespielt:

Weitere Informationen zu diesem Solostück finden Sie auch auf meiner Website.

Musikalische Kompositionen unter Verwendung der Pars-per-toto-Spieltechnik

1994 schrieb ich das Werk Musique pour un père mort für Flöte und Violoncello.  Der Violoncello-Part ist bewusst schlicht gehalten und dieses Stück beweist, dass die Pars-pro-Toto Spieltechniken auch in mehrstimmigen Zusammenhängen benutzt werden können. Das Violoncello spielt Koto-ähnliche Pizzicati, mit denen das Fußstück solo und die Mittelstück-Fußstück-Kombination begleitet werden. Das Werk ist bei der Edition Kemel, Niedernhausen erschienen und es gibt auch einen Audio-Mitschnitt vom Konzert der Uraufführung auf Youtube:

Außerdem gibt es Hintergrundinformationen zu diesem Werk auf meiner Website unter Veröffentlichungen.

Abschließend möchte ich noch auf zwei Werke von mir hinweisen, die intensiv Pars-pro-Toto-Spieltechniken verwenden.

„PERENTI“ für Flöte und clapsticks und „Funny Times“ für zwei Flöten.

Von „PERENTI“ gibt es ebenfalls ein Video auf meinem YouTube-Kanal:

Eine Druckausgabe ist noch in Vorbereitung und in Kürze erscheint auch „Funny Times“ bei der Edition Kemel, Niedernhausen.


Andreas Mazur

www.andreasmazur.de | Buy “The Pars per Toto Game”

Der Flötist Andreas Mazur, geb. 1968 in Mönchengladbach, war zunächst Jungstudent an der Kölner Musikhochschule in der Klasse von Prof. Karl-Heinz Ulrich. Anschließend studierte er bei John Wright an der Staatlichen Hochschule für Musik in Karlsruhe – Examina als Musikerzieher und Orchestermusiker – und ging schließlich als Stipendiat der Europäischen Gemeinschaft an das Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse in Paris zu Prof. Alain Marion. Seine Studien beendete Andreas Mazur mit der Künstlerischen Abschlussprüfung mit Auszeichnung. Meisterkurse bei Aurèle Nicolet, Robert Dick und Barthold Kuijken rundeten seine Ausbildung ab.

Seit seiner Studienzeit ist die zeitgenössische Musik ein wichtiger Schwerpunkt seiner künstlerischen Arbeit, dokumentiert durch Rundfunkaufnahmen beim SWR und WDR, sowie durch Engagements im Spezialensemble „MusikFabrik“ Düsseldorf, u. a. bei den Darmstädter Ferienkursen und bei der Musiktriennale Köln.

Heute lebt und arbeitet Andreas Mazur in Berlin und leistet als konzertierender Flötist, Komponist, Buchautor, Arrangeur und Herausgeber einen wichtigen Beitrag zum pulsierenden Musikleben dieser Metropole.

Bei der Edition Kemel, Niedernhausen sind zahlreiche weitere Ausgaben von Andreas Mazur erhältlich. Neben klangvollen Arrangements für u. a. Querflötenensemble und kammermusikalische Besetzungen sind es vor allem 15 lang vergriffene und jetzt in zuverlässigen Ausgaben wiederveröffentlichte Raritäten für Flöte und Klavier aus der Belle Époque.

Eine ausführliche Biografie mit allen wichtigen Lebensstationen finden Sie auch auf meiner Website